Die Sache mit den Tauschbörsen (Teil 1/3)

Tauschbörsen boomen. Sie sind die Geheimwaffe gegen den modernen Kapitalismus in Großstädten. Warum das so ist und wieso sie so gut funktionieren.

Reportage von Simone Huber, Februar 12, 2019
Wie? Ich soll mit Talenten bezahlen?

Jenseits von Bargeld und Kreditkarten bezahlen – heute kaum vorstellbar. Tauschringe leben mit einer völlig eigenen Währung. Eine alternativ angehauchte Ökonomie liegt ihnen zugrunde. Hier „zahlt“ man mit Talenten oder sogenannten „Crossies“. Mitglieder erlangen für jede geleistete Stunde ein Anzahl „Talente“, die ihnen auf einem fiktiven Konto gutgeschrieben werden. Wer viel Arbeit investiert, der verfügt nachher über ein ordentliches Talentekonto. Darüber kann man Buch führen. Mit den angesparten Talenten kann ein Mitglied andere Services in Anspruch nehmen. Grundlegend für die Verrechnung in Tauschringen ist allein die aufgewendete Zeit der Teilnehmer. Eine Stunde Lebenszeit ist immer gleich viel Wert, egal ob man Haare schneidet, Rasen mäht oder Gitarrenunterricht gibt. Damit es bei den Tauschtreffen nicht zu kompliziert mit dem Aufschreiben wird, gibt es auch Talentzettel über die man tauschen kann. Tauschringe orientieren sich nicht am Profit. Für angesparte Talente auf dem Konto gibt es jedoch keine Zinsen.

Tauschen kann man viel

Biete Fußreflexzonen-Massage, suche Kochhilfe. Was erstmal komisch klingt, wird durch Tauschringe möglich gemacht. Ungewöhnliche Tauschgeschäfte stehen dort auf der Tagesordnung. Wo kriege ich auf die Schnelle Schneeketten her? Und eigentlich wollte ich für den nächsten Mallorca-Trip ein bisschen Spanisch lernen. Für alle diese Probleme gibt es eine Lösung und die heißt: Tauschen! Mal mit etwas Mehl aushelfen oder vielleicht einen Laufpartner zum Joggen oder jemanden zum Kartenspielen finden. Das Leistungsspektrum von Tauschringen, Tauschbörsen, Tauschzirkel, Nachbarschaftshilfen oder Talent-Märkten, ist bunt wie ein Papagei.

Die Idee der Tauschringe geht auf die Theorie der Freiwirtschaft des Ökonoms Silvio Gesell zurück. Eine Lehre, die dem Kapitalismus den Kampf erklärt. Nun mag man sich fragen: Ist das überhaupt legal oder handelt es sich hierbei um organisierte Schwarzarbeit? Manch einer witterte hinter dem Tauschen noch finstere Machenschaften. Keine Sorge! Solange die Tauschgeschäfte in kleinem Rahmen ablaufen und die Tauschgüter bzw. Tätigkeiten einen gewissen Rahmen nicht übersteigen, gibt es steuerrechtlich keine Probleme.

Schon Mercedes hat seine Motoren „getauscht“

Tauschgeschäfte sind alt. Schon unsere Vorfahren nutzten den Tausch als eine der elementarsten Formen des bargeldlosen Handels. Das Tauschen hat so die Wirtschaft begründet. Das soziale Leben der Menschen ist vom Gesetz der Reziprozität bestimmt. Ein Mensch hat oder kann etwas, worüber ich nicht verfüge. Im Gegenzug kann ich dieses bieten. Schon kam ein Tausch zustande, der beide Individuen weiter gebracht hat.  Tauschen ist somit über die Epochen zu einem Motor geworden, der dadurch positiv bewertet wird.

Allerdings kommt beim Tauschen eine zweite Komponente hinzu: Das Gefühl ausgleichen zu wollen, selbst wenn man es nicht unbedingt bräuchte. Fast wie eine Art schlechtes Gewissen erinnert uns das Gesetz der Gegenseitigkeit, dass auch wir etwas zurückgeben wollen. Heutzutage stehen Tauschringe für eine erweiterte Nachbarschaftshilfe, ein lokales, soziales und ökonomisches Netzwerk, oft mit ökologischer Ausrichtung. Selbst starke Marken wie Pepsi-Cola haben das Tauschprinzip für sich entdeckt. Pepsi hat sich auf diesem Weg als erstes westliches Produkt in den sowjetischen Markt „eingetauscht“. Als Gegenleistung wurde Wodka auf dem US-Markt etabliert. Sogar Mercedes handelte seine Motoren schon gegen kubanischen Zucker.