Er kam, sah und sinnierte
Im Geiste malt er, doch seine Bilder kommen anders zustande. Wir meditieren mit Dieter Rehm an Orten, die es so nie wieder geben wird.

Zeitgeist als Momentaufnahme
New York. Time Square. 05:00 Uhr. Noch ist es hier ganz friedlich. Ein Mann schlendert die Straße hinunter, seine große Umhängetasche verursacht leichte Schlagseite. Plötzlich bleibt er stehen, schaut sich um, geht schließlich in die Mitte der Straße. Schließt noch einmal fest die Augen, bevor er ein letztes Mal in eine ganz bestimmte Richtung schaut.
Dann öffnet er die Tasche und beginnt mit sicheren Handgriffen ein kleines Gestell mitten auf der Straße aufzubauen. Oben drauf setzt er ein Gerät mit einer Linse, das fein justiert wird. Der Mann wendet sich ab, setzt sich auf eine nahe Parkbank, schlürft gemächlich ein Getränk. Es stört ihn nicht, dass die Ampeln ein paar Mal die Farben wechseln. Wenig später packt er mit einem zufriedenen Lächeln die Gerätschaften wieder ein und verschwindet in die magische, blaue Morgendämmerung.
So oder so ähnlich muss es zugehen, wenn Dieter Rehm unterwegs ist und mit seiner Großbildkamera den aktuellen Zeitgeist einfängt. Wir haben den Fotokünstler und Präsident der Akademie der Bildenden Künste in München Anfang Mai auf seiner Vernissage im Wolnzacher Hopfenmuseum getroffen und dabei mit ihm über seine Kunst gesprochen. Mit dieser schafft Rehm etwas Außergewöhnliches, nämlich dem Alltag besondere Momente abzugewinnen.

Hallertau.de: Wenn man so durch die Ausstellung geht, sieht man auch den frühen Dieter Rehm: Straßen, viel Amerika, wunderbare Bilder von Gebäuden.
Dieter Rehm: 1989 fing ich mit ganz klassischen Bildern auf Großformat an. Die waren nicht so verfremdet, obwohl ich von der Malerei her komme und seit meiner Zeit in England – so 1983/84 – das Positiv-Negativ-Spiel auf Mittelformat schon immer gemacht habe. Die Großbildkamera hat mich damals so fasziniert, dass ich erst einmal nicht viel verändert habe.
Dann wurde es etwas ausgefeilter, zum Beispiel mit der Farbmanipulation der Fotos vom Schloss Herrenchiemsee.
Ja, später kam dann in einem Rückgriff auf die 80er Jahre das Experiment zum Vorschein, wieder mit dem Positiv-Negativ-Spiel zu changieren. Es sind nicht nur Negativ-Bilder, sondern zum Teil auch dazwischen.
Welche Rolle spielt da der Computer?
Früher bin ich analog vorgegangen, habe die Sachen umkopiert und so weiter. Ich hatte das ja auch noch so gelernt und in der Richtung experimentiert. Jetzt macht man halt alles am Computer. Hier zum Beispiel sieht man eine Situation in einem Restaurant in Tokio. Das ist ein ganz kleiner Laden, die Kamera steht am Eingang. Da passen nicht mehr als sechs, sieben Leute rein, denen dann etwas ganz Besonderes zubereitet wird. Die Leute sind auch in Bewegung, weil die Aufnahme mindestens 20 Sekunden dauert. Ein Student von uns wusste, was wir machen – der ist im Negativ dargestellt und statisch. Die anderen konnten sich da nicht so genau damit befassen und sind als Kontrast wieder im Positiv und verschwommen. Auf der linken Bildhälfte saß ein Mann, das war hochinteressant… den kannte ich gar nicht. Es stellte sich kurioserweise heraus, dass er schon sehr oft in Illertissen bei Memmingen, meiner Heimatstadt, gewesen war.

So klein ist die Welt! Aber auch vielseitig. Wie suchen Sie da Ihre Motive aus?
Das sind alles Dinge, die ich zufällig entdecke. Ich laufe mit meiner Großbildkamera durch die Straßen und habe plötzlich dieses meditative Erlebnis: ‚Das hier ist jetzt gerade in diesem Moment ein toller Standpunkt, es fließen alle Linien und das Sujet so zusammen, dass ich geneigt bin, die Kamera auszupacken, das Stativ aufzubauen und so weiter.‘ Der Titel dieser Ausstellung in Wolnzach ist eine Adaption, ich komme ja auch aus der Musik. Es gab einmal eine amerikanische Free-Jazz-Gruppe, die hieß AMM III und hatte ein Album mit dem Titel „It Had Been An Ordinary Enough Day In Pueblo, Colorado“. Ich war da beteiligt am Platten-Cover und dieser Satz ist mir nie aus dem Kopf gegangen. Und so habe ich das als Gedanken mitgenommen: dass es ein ganz gewöhnlicher Tag ist, wo nichts passiert. Aber dann habe ich trotzdem dieses Erlebnis, aus dem ein Bild entsteht – das ist einfach eine poetische Interpretation, nichts anderes.
„Das sind alles Dinge, die ich zufällig entdecke. Ich laufe mit meiner Kamera durch die Straßen und plötzlich habe ich dieses meditative Erlebnis.“
Dieter Rehm
Und dabei kombinieren Sie Ruhe und Detailreichtum?
Ja, die Ruhe ist ein ganz wichtiges Moment. Der Grundgedanke ist immer, alles malerisch zu gestalten. Ich mache nicht wie ein normaler Fotograf Serien, das Einzelbild ist für mich das Faszinierende. Das sind temporäre, dokumentarische Aufnahmen. Die Bildwelten von Großstädten stehen da im Mittelpunkt. Das Restaurant in Tokio war ein Innenraum, das hier drüben ist ein Motiv im Außenraum, dem Time Square in New York. Der Time Square ist eine unheimlich faszinierende Szenerie, wo es unglaublich viele Leuchtreklamen, Großfassaden, Gestaltungen mit Ikonographie gibt… Wenn man das als normaler Tourist im Vorübergehen mit einem Schuss fotografiert, sieht das ganz schön mickrig aus. Das sieht nach nichts aus.










Sehen Sie aufgrund der malerischen Denkweise und der Fassadenwelten einen Zusammenhang zum Graffiti?
Hm… Ein Graffiti ist etwas Graphisches an der Wand. Bei mir geht es um die illusionistische Tiefe. Dass man einfach reinschaut in die Straßenflucht und alle Linien zusammenlaufen.
Zum Abschluss sehen wir noch?
Eine Straßenecke in Chicago, die Fulton Street. Wo eben jetzt tatsächlich Graffitis vorkommen. Da kommen wir dann zu einem passenden Abschluss.
Das Interview ist bezüglich Länge und Lesbarkeit redigiert.