Pflege ist mehr als Windeln und Gebiss
In der Berufsfachschule für Altenpflege lernen die Pfleger von morgen. Kurz vor Ende ihrer Ausbildung haben sie schon eine Menge zu erzählen.
Altenpfleger werden?
Seit 2017 ist die Fachschule für Altenpflege in Pfaffenhofen staatlich anerkannt. Nach der einjährigen Ausbildung zum Pflegefachhelfer (Altenpflege) kann man eine anschließende Ausbildung zum Altenpfleger auf zwei Jahre verkürzen. Die Schule in der Kreishauptstadt erzielte vergangenes Jahr mit einem Abschlussdurchschnitt von 1,7 die besten Ergebnisse in Oberbayern.
Montagvormittag in der Berufsfachschule für Altenpflege in Pfaffenhofen. Es geht um Erbrochenes. Konsistenz, Geruch, Häufigkeit, Beimengungen. „Kein schönes Thema, aber das ist menschlich und gehört zum Pflegealltag. Daran erkennt man auch, wie es dem Betroffenen geht“, erzählt Lehrerin und Ökotrophologin Anna Hartl den rund 20 Schülern, die ihr mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit lauschen. Teenager, Geflüchtete, Männer und Frauen in ihren Fünfzigern – sie alle wollen Pflegefachkraft werden. Mit allem was dazu gehört. Leidenschaft, Mitgefühl und Erbrochenem.
„Du bekommst die Lebenserfahrung so vieler Menschen zu spüren“
Clara*
Nach Angaben der Gewerkschaft Verdi fehlen in Deutschland 63.000 Altenpflegekräfte, um eine würdevolle Pflege zu ermöglichen. „Der Belastungscheck belegt einmal mehr, dass die Personaldecke erschreckend dünn ist“, erklärt Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler. Das Land braucht Pflegerinnen und Pfleger, ganz dringend. Es braucht Menschen wie Clara*.
„Wenn ich von meiner Ausbildung erzähle, höre ich immer wieder: Ich könnte das nicht“, erzählt die junge Schülerin. Man hat den größten Respekt vor den Menschen, die sich um Oma und Opa kümmern. Vor ihren anstrengenden Arbeitsbedingungen, vor der für die Branche symptomatischen Überlastung, vor den emotionalen Hürden. In Claras Arbeitsalltag stecken das Leid und die Freude einer gesamten Generation von Weltkriegskindern, Selfmade-Männern, Witwen und Waisen. „Du bekommst die Lebenserfahrung so vieler Menschen zu spüren“, macht Clara deutlich. In der öffentlichen Wahrnehmung hält sich die Scheu vor der vollen Windel und dem klappernden Gebiss dennoch hartnäckig.

Die Pflege mit allen ihren Facetten
Szenenwechsel, raus aus Anna Hartls Unterricht. Die ganze Klasse von angehenden Pflegerinnen und Pflegern hat sich herausgeputzt. Im Pfaffenhofener Pflegeheim stehen sie vor einem vollbesetzten Speisesaal. Rollstühle werden in Position gebracht, zahlreiche erwartungsvolle Augen blicken den Schülerinnen und Schülern entgegen. Für die kommende Stunde haben sie ein Konzert vorbereitet. Auf dem Programm stehen Reime über den Frühling, Lieder über den Mai, Gedichte über das Oma-Dasein. Die anfängliche Zurückhaltung ist schnell dahin, zu verlockend ist die kurze Ablenkung, die die Schüler mit ihrer Aktion bieten. Bald schon wird mitgesungen bei „Kuckuck Kuckuck ruft’s aus dem Wald“ und „Kommt ein Vogel geflogen“. Altenpflege bedeutet eben mehr als Essen eingeben und duschen. Die Pflegerinnen und Pfleger sind die Brücke zu einer rasanten Welt, in der Menschen mit Demenz oder Rheuma ihren Platz nicht mehr finden können.
In der Schule unter der Leitung von Alicija Kulisch kämpfen unterschiedlichste Charaktere ihrerseits um ihren Platz in dieser Welt. Oft sind es dabei nicht mal die Bewohner, die ihnen den Arbeitsalltag erschweren. „Vor allem mit Demenzkranken muss man so viel Geduld mitbringen. Aber man verzeiht ihnen vieles, man weiß ja schließlich, dass sie krank sind“, erzählt Sebastian auf die Frage hin, was den Beruf so anspruchsvoll macht. Zum Problem werden schneller mal die Angehörigen. „Sie verstehen nicht, warum bestimmte Dinge gemacht werden müssen oder verstehen unser Engagement vollkommen falsch. Manchmal denken sie, wir Pfleger wollen ihnen was Böses, dabei ist das Gegenteil der Fall.“

Pflege als wirtschaftlicher Faktor
Noch schlimmer wird es, wenn eine hoch emotionale und empathische Tätigkeit wie das Pflegen eines kranken Menschen zur Berechnungssache der Politik wird. „Wenn du einem Bewohner mit einem Teelöffel den Brei eingeben musst und weißt, dass noch drei weitere Menschen auf ihr Mittagessen warten, dann ist das stressig. Alles ist durchgetaktet. Wir haben einfach keine Zeit“, erklärt Martin. Und die würden sich die Schülerinnen und Schüler gerne nehmen. „Ich mag diese Nähe zu den Menschen. Oft sind sie so dankbar, dass man sich mit ihnen beschäftigt, das bestätigt mich in meinem Tun“, macht auch Selina* deutlich. Zeit – gerade die geht für die Bewohner der Pflegeheime langsam zu neige, und gerade die wollen ihnen die Pflegerinnen und Pfleger schenken. Dafür brauchen wir mehr Personal.
Dennoch sind die Schülerinnen und Schüler froh über den Weg, den sie in der Pfaffenhofener Pflegefachschule eingeschlagen haben. „Man lernt so viel. Über den Tod zum Beispiel“, erklärt Sebastian*. „Jeder Mensch geht anders. Manche kämpfen, da dauert es lang und ist schmerzhaft. Andere verabschieden sich still und leise.“
Manchmal schaffen es die Angehörigen nicht rechtzeitig, dann sind die Pflegerinnen und Pfleger zur Stelle, um Hände zu halten, gut zuzureden, einen letzten Rosenkranz zu beten und die Angst vor dem Ungewissen zu teilen. Sterben müssen wir schließlich alle, die Frage ist nur, wie. Wenn es so weit ist, sind die Schülerinnen und Schüler der Pflegefachschule auf jeden Fall zur Stelle.









