Silkes Quarantäne-Tagebuch #6: Große Aufregung und kleine Freuden

Zuerst kam die Nachricht, dass fünf Wochen schulfrei sind. Dann wanderte unsere Autorin mit ihrer Familie vom Tirol-Urlaub direkt in die häusliche Quarantäne. Die nahtlos in die Ausgangssperre für ganz Bayern überging. Wie lebt es sich daheim hinterm Zaun? – das erzählt sie hier täglich.

Reportage von Silke Weiher, März 21, 2020

Teile diesen Artikel mit deinen Freunden!

Samstag, 21.3.2020, Tag 6

Große Aufregung bei den Nachbarn

Um sieben wecken uns laute Stimmen vor dem Haus. Es sind die Umzugshelfer unserer neuen Nachbarn. Die ziehen heute in ihr neues Haus ein. Oder vielmehr in ihre Baustelle. Das Dach ist noch nicht ganz eingedeckt, die Regenrinnen fehlen zur Hälfte, die Planen hängen noch vor den Fenstern. Das Gerüst steht noch. Das liegt ausnahmsweise mal nicht an Corona, sondern an den Handwerkern hier in München. Aber wegen der Ausgangssperre ziehen sie vier Tage vor dem eigentlichen Termin ins Haus – das eigentliche Umzugsunternehmen hatte ihnen abgesagt, jetzt haben sie über MyHammer spontan Hilfe organisiert. Ihre drei Kinder sollten am Umzugstag eigentlich von der Oma betreut werden und abends wollten wir bei uns ein Willkommensessen machen. Beides fällt nun flach.

Auch unsere anderen Nachbarn sind in Aufregung. Sie werden auf Corona getestet. Die Nachbarin arbeitet im Labor des Klinikums Großhadern und es gibt vier bestätigte Corona-Fälle im Kollegenkreis. Sie musste einen halben Tag telefonieren, um jemanden zu erreichen, aber um elf Uhr steht ein ambulantes Team vor dem Haus. Einer der beiden Männer mit Mundschutz, Haube und OP-Kittel. So was sieht man nicht jeden Tag. Unsere Kinder sind in heller Aufregung und wollen sofort auch so einen Test! Ich bin beeindruckt, wie schnell die hier waren – drei Stunden nach dem Anruf! Das Ergebnis dauert allerdings bis Dienstag, erzählt mir die Nachbarin am Telefon. Wir sitzen beide am Fenster mit den Hörern in der Hand und winken uns: Ich oben am Lesefenster, sie gegenüber auf der Couch im Wohnzimmer. Ist fast wie zusammen Kaffee trinken.

Kleine Freuden bei uns

Den Rest des Tages stehe ich in der Küche, um die Umzugsnachbarn mit Essen zu versorgen – das Einzige, das ich von der Quarantäne aus für sie tun kann. Ich habe riesige Lust auf Butterkuchen mit Mandeln und freu mich wie ein Kind, dass ich ein Rezept ohne Hefe finde und wir noch genügend Mandeln haben. Es riecht himmlisch und als ich das Blech aus dem Ofen ziehe, juble ich: Er ist einfach perfekt!  Habe ich mich früher auch so über einen Kuchen gefreut? Wir verbringen einen gemütlichen Samstag. Das Zuhausebleiben fällt heute noch leichter, draußen toben Wind und Regen und es hat gerade mal fünf Grad. Mein Mann spielt dreimal Siedler mit den Jungs, schaut mit ihnen Asterix, während ich Pizza für die Baustelle backe und die Wohnung dekoriere. Ich telefoniere lange mit meinem Papa, dann mit zwei Freundinnen. Minütlich schicken Freunde Corona-Witze in unsere Whatsapp-Gruppen. Wir lachen Tränen. Sie tut gut, diese Pause vor den vielen schlechten Nachrichten der letzten Woche. Dann kommt via Whatsapp der Aufruf, sich abends um sieben ans Fenster zu stellen und zu klatschen für alle Mediziner, Pfleger … Ich habe noch nie eine Nachricht dermaßen oft geteilt. Um sieben stehe ich am Fenster und spende Beifall. Für alle die, die zurzeit Höchstleistungen vollbringen in den Krankenhäusern, Supermärkten, Lieferdiensten, bei der Post – und ein bisschen klatsche ich auch für alle Eltern. Ich bin übrigens die einzige in unserer Straße. Aber einer muss ja mal anfangen!

Das gibt der Kühlschrank her:

Frühstück: Krapfen und frische Semmeln vom Bäckerlieferservice, selbst gebackenen Butterkuchen mit Mandeln.

Mittagessen: Wurstsemmeln für die Kinder.

Abendessen: Überbackene Cannelloni gefüllt mit dem Rest Hackfleisch vom Vortag. Für die Kinder Tomatencremesuppe aus dem Tetrapack mit gerösteten Toastwürfeln.

Teile diesen Artikel mit deinen Freunden!