Sonntagskolumne: Mein Schrank quillt über vor schlechtem Gewissen

Kommentar von Lisa Schwarzmüller, Juli 19, 2020

Teile diesen Artikel mit deinen Freunden!

Coronazeit ist Ausmistzeit – das zumindest hat es mir mit Anfang der Social-Distancing-Ära aus allen Ecken der sozialen Medien entgegengeschrien. „Endlich haben wir Zeit, uns mal so richtig unserer Wohnung zu widmen, jetzt wird aufgeräumt und ausgemistet.“ Ich gebe zu, ich bin kein von Natur aus ordentlicher Mensch. Selbst nach Jahren des Versuchs ist es mir nicht in Fleisch und Blut übergegangen, morgens mein Bett zu machen. Meistens lass ich meine Unordnung so weit eskalieren, bis ich es selbst kaum noch aushalte. Meine größte Nemesis: Regelmäßig sitze ich in vollkommener Verzweiflung vor meinem Kleiderschrank, weil ich dieses eine schwarze Top suche, das in einem Knäuel aus Hosen, Unterwäsche, Schals, Taschen, Bettwäsche und alten Bikinioberteilen sein höchstwahrscheinlich tragisches Ende gefunden hat. Zerknittert und verlassen, ungeliebt und ungetragen. Das arme schwarze Top.

Der logisch denkende Mensch würde sich nun natürlich der Situation von einer lösungsorientierten Seite nähern: „1. Schritt: Schrank ausräumen. 2. Schritt: Schrank aufräumen. 3. Schritt: Schwarzes Top finden. 4. Schritt: Top mit neugewonnenem Stolz zur nächsten Menschenansammlung der Wahl auftragen.“ Oder man macht es wie ich: „Verdammt, ich hab mein schwarzes Top verloren. Schritt 1: Fastfashion-Website meiner Wahl aufrufen. Schritt 2: Ähnliches schwarzes Top in den Warenkorb legen. Schritt 3: Zwei Tage warten. Schritt 4: Von einem vollkommen entkräfteten Postboten oder Paketlieferanten mein in 40 Tonnen Plastik gehülltes, neues Top in Empfang nehmen. Schritt 5: Neues, schwarzes Top, das genauso aussieht, wie das alte, mit leicht schlechtem Gewissen auftragen. Schritt 6: Neues, schwarzes Top, das genauso aussieht, wie das alte, im schwarzen Loch, das mein obszön unordentlicher Kleiderschrank ist, verlieren.“ Und ja, zu Recht schäme ich mich ob der hier niedergeschriebenen Zeilen gerade ins Unendliche. Denn mit diesem Verhalten trage ich zur wahrscheinlich größten Umweltsünde bei, die wir unserer Welt antun können.

Schlimmer als Fernreisen, schlimmer als Autofahren, schlimmer als Kreuzfahrten: Fast Fashion definiert sich als Mode, die so billig ist, dass wir Konsumenten uns mehrmals im Jahr mit den neuesten Kollektionen eindecken können. „Zwischen 2000 und 2014 – also genau jener Zeitraum, in dem Hersteller sich voll der schnellen Mode verschrieben haben – ist die Anzahl der gekauften Kleidungsstücke pro Jahr um 60 % gestiegen. Gleichzeitig werden die einzelnen Stücke nur mehr halb so lang getragen wie noch vor 15 Jahren“, erklären die Macher der Seite „Nachhaltige Kleidung“ in einer Recherche. Die Folgen sind immens: Jedes Jahr produziert die Modeindustrie so über eine Milliarde Tonnen CO2. Billige Stoffe werden mit gesundheitsbedenklichen Chemikalien gefärbt, Arbeiter*innen nähen unter menschenunwürdigsten Bedingungen, ihre Fabriken stürzen ein. Und mit jeder Bestellung bei Zara, H&M und C&A trage ich dazu bei, dass es immer weiter geht, bis mein Schrank mit den immer gleichen Teilen überquillt.

Wie gedenke ich also, da raus zu kommen? Meinen Teil beizutragen? Ich hab ehrlich gesagt keine Ahnung. Sobald ich Instagram öffne, werden mir die neuesten Trends vorgeschlagen. Unsere Innenstädte sind auf den Konsum von Fast Fashion ausgerichtet. Überall werden wir mit Versprechungen und Verheißungen von Mode bombardiert. Unser Hirn wurde in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreich konditioniert: Kauf mich, dann wirst du schön, stylisch, trendy, gut, akzeptiert, sexy. Kauf mich. Wir werden erdrückt vom Druck zu konsumieren. Wie lange können wir das noch aushalten? Wie lange kann die Welt das noch aushalten?

Dabei wäre die Lösung des Problems, das Durchbrechen dieses fiesen Zyklus so einfach: „Schritt 1: Schrank ausräumen. Schritt 2: Schrank ausmisten. Schritt 3: Kleidung an Freunde verschenken, die noch Verwendung für schwarze Tops haben könnten. Schritt 4: Kleidung, die nicht mehr passt oder kaputt ist, zu einer Schneiderin bringen, und so die Wertschöpfungskette eines Teils aufrechterhalten. Schritt 5: In Second Hand Geschäften nach wunderbaren Perlen und schönen Einzelstücken suchen.“ Diesmal werd ich es wirklich machen. Versprochen.

Second Hand Läden in der Hallertau:

Teile diesen Artikel mit deinen Freunden!