Stell dir vor, du wärst der letzte Mensch auf Erden
2014 wurde er von der Stadt Pfaffenhofen mit dem Kunstförderpreis ausgezeichnet, 2019 entführt Regisseur und Autor Falco Blome in die beklemmende Realität eines nuklearen Fallouts. Sein Ein-Frau-Stück „Bunker“ feiert heute nach vielen ausverkauften Zusatzterminen Dernière.
Eine Gruppe von 13 Menschen steht inmitten eines idyllischen Gartens umgeben von Tomatenpflanzen und Schmetterlingen. Ein Herr in Kittel und Klemmbrett weist die noch fröhlich summenden und schmunzelnden Zuschauer in die Sicherheitsvorkehrungen des Pfaffenhofener Fernmeldebunkers ein. Man raunt und flüstert sich noch die neusten Neuigkeiten zu, dann geht es verwitterte Stufen hinab.
Das Lachen, das hie und da noch aufblitzt, wird zurückhaltender. Mit jedem Schritt, der einen in die hyperrealistische Atmosphäre einer verwinkelten Fallout-Realität zieht, verändert sich auch die Stimmung der 13 anfangs noch fröhlichen Pfaffenhofener. Sie lassen den warmen Juli-Tag hinter sich. Bald tauchen sie nicht nur in die klaustrophobisch beklemmende Realität der nuklearen Katastrophe ein, sondern auch in den Geist der wohl letzten Überlebenden, die eindrucksvoll aus der psychischen Klaustrophobie ihrer Isolation ausbricht. Oder es zumindest versucht.
Von der Einsamkeit in allen ihren Facetten
Als Regisseur und Autor Falco Blome von der Stadt Pfaffenhofen gefragt wurde, ob er für den Kultursommer ein Stück realisieren wolle, war die Idee schnell geboren. „Ich kenne den Bunker schon seit Jahren und wollte da immer mal irgendwas machen, weil der Ort wahnsinnig spannend ist“, so Blome. Das ein-Frau-Stück als spannend zu deklarieren ist dabei wohl die Untertreibung schlechthin. Zusammen mit der Schauspielerin Maria Helgath setzte er die Umgebung, die der interkulturelle Garten und der Fernmeldebunker liefern, perfekt in Szene. Die anfänglich noch sommerliche Euphorie, die in der Anlage mit Blick über die Stadt herrscht, setzt einen extremen Kontrast, zu dem, was Maria unter der Erde zum Leben erweckt. Dass die Geschichte in einen nuklearen Fallout eingebettet ist, wird trotz der Eindringlichkeit der Umgebung schnell zur Nebensache. „Die Situation Atomkrieg ist ein Bild, eine Folie, eine Metapher für das, was Einsamkeit eigentlich heißt“, erklärt Falco.
Das Gefühl von Einsamkeit ist dabei niemandem fremd. Man kann ein erfülltes Leben führen und doch blitzt sie manchmal auf, wenn man allein ist mit der eigenen Meinung, der eigenen Wahrnehmung oder der eigenen Lebenssituation. Mit all diesen Facetten spielt Maria Helgath und schockiert mit ihrer gefühlvoll inszenierten Körperlichkeit. Ganz allein sitzt sie inmitten eines feucht-kalten Raumes, im Hintergrund nur der Atompilz, der sich mal um mal aufbläht, wie die eigenen Filterblasen im Kopf. Schaurig leuchtende Memorabilien leisten ihr Gesellschaft, wenn sie sich in ihrem Gedankenlabyrinth verheddert. Sie wird zum Tier, zum Kind, zur Mutter und zur Philosophin, feiert Weihnachten und Geburtstag, singt Wiegenlieder und rennt im nächsten Moment gegen Wände. Sie erzählt aus der Perspektive verschiedenster Persönlichkeiten ihre Geschichte, bis sich ihr Wunsch nach Ausbruch aus den sich immer schneller wiederholenden Zyklen so sehr manifestiert, dass sie ihn nicht mehr ignorieren kann. „Ich glaube, dass Isolation über einen langen Zeitraum dazu führt, dass man sich psychologisch in Mechanismen vergräbt. Man braucht einen Rhythmus und eine Gleichartigkeit. Dort unten gibt es keinen Tag und keine Nacht, kein Gefühl für Zeit“, erklärt Blome. „Der Mensch braucht dann etwas, an das er sich halten kann. Er entwickelt Persönlichkeiten, die ihm Sicherheit geben.“
„Mir ging es darum, dass es eine Wahrheit hat. Dass es eine Authentizität hat, dass es ehrlich ist.“
Vom Mut, die Einsamkeit zu beenden
Marias Figur wagt den Schritt heraus aus der Sicherheit. Sie trägt Lippenstift auf, schlüpft in ein weißes Kleid und lässt die schaurig leuchtenden Augen durch den Raum schweifen. Sie ist sich sicher, am Ende der 36 Stufen, die sie hinauf in die Welt führen, warten auf sie nur die Zerstörung und der Tod. Wieder konfrontieren Falco Blomes Worte die Zuschauer und provozieren in ihrer Metapher die eigenen Gedanken. Den Weg aus dem Kopf zu finden, wenn die Isolation und der Schmerz doch irgendwie bequem geworden sind, macht Angst. 13 Pfaffenhofener, die vorher schmunzelnd und schwatzend hinab in den Fernmeldebunker gegangen sind, folgen der Schauspielerin stillschweigend und betroffen zurück an die Oberfläche. Längst hat man die Idylle im interkulturellen Garten vergessen und ist über den rosa-kitschigen Sonnenuntergang und das Summen der Insekten genauso schockiert, wie sie. Dann die Eklipse. Sie dreht um, geht zurück in die Isolation, obwohl ihr die Welt nun zu Füßen liegen scheint. Schauspielerin Maria weiß auch warum und fühlt mit. „Wenn du in so eine Sackgasse gelaufen bist, wenn du vor so einem großen Nichts stehst, sieht man manchmal nur die Chance, in das Vertraute zurückzugehen.“
Und so hinterlässt Falco Blomes Werk fast schon eine emotionale Überforderung. Nicht nur darüber, dass die Kulisse so realistisch ist, dass die Existenz und Nicht-Existenz von Atomwaffenabkommen plötzlich eine unangenehme Brisanz gewinnt. Auch nicht darüber, dass man mit dem verlassenen Kind im Atomschutzbunker Mitleid hat oder von dessen Schizophrenie schockiert ist. Sondern weil wir uns selbst oft genug dabei ertappen, in unsere eigenen Bunker zurückzukehren, wenn wir uns von der Welt überfordert fühlen.
„Überlege wohl, bevor du dich der Einsamkeit ergibst, ob du auch für dich selbst ein heilsamer Umgang bist.“