Krisenwechsel: Auf einen Kaffee mit Khalid Khan
Zeitreise in eine andere Krise: 2015 floh Khalid Khan mit Tausenden anderen vor Krieg und Verfolgung nach Deutschland. Was wurde aus dem jungen Afghanen?
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Erinnert sich eigentlich noch irgendjemand an die Flüchtlingskrise? An die Angst, die Schlagzeilen, die Zahlen, die Prognosen? Wahrscheinlich nicht. Die Corona-Krise ist längst das neue Top-Thema, vorherige Debatten verblasst, Schicksale vergessen. Das Thema „Flüchtlingskrise“ ist eine Randnotiz im immerwährenden Medien-Karussell. Wenn ich mich jetzt auf meiner heimischen Couch-Bastion vor Covid-19 verschanze, wandern meine Gedanken ab und an zu einem jungen Afghanen namens Khalid Khan, den ich 2017 zu einem Interview in der Wolnzacher Asylunterkunft traf. Gefühlt lebten wir damals in einer anderen Welt, in einer anderen Krise, einem anderen Narrativ.
Khan hatte zu diesem Zeitpunkt eine kräftezehrende Reise hinter sich. Er erzählte mir seine bedrückende Geschichte: wie er vor dem Krieg in Afghanistan floh, wie seine Eltern 9000 Euro investierten, um sichergehen zu können, dass er in dem neuen Land ganz neu anfangen kann. Wir sprachen über ein Sprengstoffattentat in Kabul, bei dem sein kleiner Bruder verletzt worden war, und seine Hilflosigkeit – damals noch ausschließlich auf Englisch. Alles drehte sich um die Gewalt, vor der er 2015 geflohen war, und seinen unbändigen Willen, in Bayern ein neues Leben zu beginnen. Khan strahlte eine Energie aus, die ansteckte. Acht Sprachen beherrschte er schon, sein großes Ziel war es, Deutsch als Neunte hinzuzufügen, eine Ausbildung zu absolvieren und sich und seiner Familie Hoffnung zu geben. Er war einer von Tausenden Geflüchteten, von vielen in der Öffentlichkeit wahrgenommen als große, bedrohliche Welle. Fünf Jahre später spricht kaum noch einer über sie. Und auch ich frage mich: Was ist eigentlich aus Khan geworden?
Als wir uns drei Jahre nach unserem ersten Interview wiedertreffen, hat sich vieles verändert. Nicht nur die Schlagzeilen, sondern auch der junge Mann, der mich mit einem breiten Grinsen begrüßt – auf Bayerisch. Unermüdlich hat er unsere Sprache gelernt, eine Ausbildung begonnen und seinen Führerschein gemacht. Die Verwandlung haut mich um. Khans Bayerisch ist fast fließender als mein eigenes. Zusammen ziehen wir Bilanz über das, was er in den vergangenen Jahren über seine neue Heimat in der Hallertau erfahren hat und kehren zurück zu dem letzten, großen, medialen Thema, bevor die Corona-Krise ihren Platz einnahm.
Hallertau.de: Khan, erzähl doch nochmal, wie du hierher nach Wolnzach gekommen bist.
Khalid Khan: In Afghanistan wurde ich gerade mit der Schule fertig. Die Situation war nicht so gut für uns. Verschiedene Gruppen wie Al Kaida und so weiter machten Druck auf junge Leute, die im Unterricht gut waren oder Englisch sprachen. Meine Eltern haben dann gesagt, dass ich und mein Bruder gehen sollen.
Im Dezember 2015 bist du nach Dachau gekommen, kurze Zeit später nach Wolnzach in die Ziegelhalle. Wie war diese Zeit?
Dort waren wir fünf oder sechs Monate. Der ganze Weg war so anstrengend, wir hatten so eine schlechte Zeit. Das passte dann erstmal für eine Weile. Aber dann wollten wir weitergehen, irgendwas machen oder lernen. Dass das erstmal nicht ging, war sehr frustrierend. Dann haben wir aber einen Sozialarbeiter bekommen, der hat dann sehr geholfen und wir bekamen einen Deutschkurs. Danach durfte ich endlich meine Ausbildung als Elektriker für Gebäudetechnik anfangen und lernen.
Wie gefällt dir deine Ausbildung?
Am Anfang war das echt schwer für mich. Aber die Kollegen waren so nett und haben sehr geholfen. Ein paar haben Englisch gesprochen. Den Beruf hatte ich in Afghanistan schon gelernt, da waren die Systeme aber anders. Und dann war da das Problem mit der Sprache. Wenn ich nicht verstehe, was verlangt wird, dann kann ich auch nichts machen. Ich habe von überall Hilfe bekommen, und jetzt geht es schon ganz gut. Ich habe Zwischenprüfung geschrieben und hatte 74 von 100 Punkten. Das habe ich nie erwartet, dass ich das so gut hinbekomme. Aber es ist auch anstrengend. Arbeit, Sprachkurs, Fahrschule – ich bin oft von morgens um 6 Uhr bis abends um 10 Uhr beschäftigt.
Vermisst du deine Heimat?
Jeden Tag, wenn ich von der Arbeit komme. Vor allem meine Eltern und meine Geschwister. Ich habe vielleicht einmal pro Monat Kontakt zu ihnen, weil der Empfang auf dem Handy dort schlecht ist. Früher war es aber noch schlechter, da haben wir manchmal drei Monate nichts voneinander gehört. Wenn wir dann reden, sagen sie schon immer, dass es ihnen gut geht. Aber man weiß, wie es ist und man glaubt ihnen nicht zu hundert Prozent. Wenn man Nachrichten hört, muss ich immer sofort an sie denken und mache mir Sorgen.
Von Kabul nach Wolnzach – das war bestimmt ein großer kultureller Spagat.
Ja! (lacht) Wir waren mit der Firma auf dem Oktoberfest. Ich habe extra eine Lederhose und ein T-Shirt gekauft, das sah echt gut aus. Aber wenn es um Alkohol geht, denke ich mir echt ab und an, das ist Wahnsinn hier.
Trinkt man in Afghanistan nicht?
Ich bin Muslim, ich trinke nicht. Es gibt schon Afghanen, die trinken. Aber kaum zu vergleichen mit den Deutschen. Mittlerweile habe ich einen Führerschein und bin oft Fahrer, wenn wir unterwegs sind. Ich versuche meine Freunde immer dazu zu bewegen, nicht so viel zu trinken. Trotzdem passiert es, dass sie übertreiben und nicht mehr wissen, wer sie sind. Ich finde den Gedanken so viel zu trinken, dass man die Kontrolle verliert, komisch. Andererseits finden die Leute in den Discos oft mich komisch, weil ich nichts trinke.
Ja, Bier und Alkohol gehören irgendwie zu den Bayern dazu. Fühlst du dich von den Bayern denn trotzdem akzeptiert?
Ja, Ich finde Bayern echt super. Also anfangs hieß es manchmal, dass ich im falschen Bundesland bin, weil ich nicht trinke. Aber das ist in Ordnung für mich. Hier ist es sicher und ich bekomme eine tolle Bildung und regelmäßiges Gehalt.
Mal ganz abgesehen vom Alkohol – was hast du noch über die Deutschen gelernt?
In Deutschland geht es nur mit Zettel und Unterschrift, ansonsten glaubt man dir nicht. Man vertraut hier schon, aber man vertraut mehr einem Zettel als einem Menschen. Das wundert mich manchmal.
Für dich ist es in den vergangenen Jahren ganz gut gelaufen. Wie soll es jetzt weitergehen?
Ich habe viele Kollegen, die sagen, ich sollte weiter zur Schule gehen, aber natürlich möchte ich auch arbeiten. Ich muss sehen, wie die Situation ist. Wenn ich gut bin, mach ich einen Elektromeister und gehe dann in die Selbstständigkeit.
Du möchtest dich selbstständig machen?
Ich kenne viele Flüchtlinge, die keine Chance bekommen, eine Ausbildung zu machen. Denen würde ich gerne eine Chance geben. Die Sprache ist eine große Hürde, und da könnte ich helfen. Ich will ein Vorbild für die sein, die denken, sie würden die Ausbildung nicht schaffen.