SOS-Ausflug: Kunstgeschichte und Wohlfühlflair in Regensburg und Kallmünz

Feature von Katrin Seidl, September 17, 2020

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Was tun, wenn ihr dringend mal einen Tapetenwechsel braucht? Einfach mal raus müsst? Weg. Nicht für immer, nur mal kurz, zum Durchschnaufen … Im Dezember war es bei mir soweit. Also habe ich für unseren ersten SOS-Ausflug aus der Hallertau alles liegen- und stehenlassen. Ich wähle uns mit 112 – also einer Reisezeit von 1h 12min – in Google Maps ein und sehe, dass der Ort Kallmünz von Hohenwart aus ein realistisches Ziel ist. Definitiv nicht mehr liebliche Hallertau, dafür aber „raue“ Oberpfalz. Auf dem Weg liegt Regensburg, unbedingt ein vielversprechender und attraktiver Zwischenstopp. Zwei Fliegen mit einer Klappe also genau genommen sogar drei! Ein Tag Kallmünz, eine Nacht Regensburg und jede Menge Natur drum herum.

„Wönns´d ned boil fuardgheist, hoildst das dahoim niad lang aas“, schießt mir ein Zweizeiler des oberpfälzischen Heimatdichters Eugen Oker in den Kopf. („Wenn du nicht beizeiten fort gehst, hältst du es daheim nicht lange aus.“) „Na bitte“, denk ich mir, während ich schnell die benötigten Utensilien in den Rucksack werfe. Zahnbürste rein, Katze raus und los geht’s!


Anreise
Mit dem PKW. Der Ausflug dauert mindestens einen Tag und geht auch ohne Übernachtung, wenn ihr früh genug aufbrecht. Er macht alleine Spaß, zu zweit, mit der Familie, mit befreundeten Pärchen, aber auch für „Fünf Freunde und Vierbeiner“ (dank der Möglichkeit eines Beistellbetts).


Samstag, 13:00 Uhr: Kandinsky und die Oberpfalz

Als ich in Kallmünz, der Perle des Naabtals, ankomme, erscheint mir alles ein wenig „schräg“ – angefangen bei dem Türmchen, welches vom Parkplatz aus gesehen auf der anderen Brückenseite aus dem Dach der St. Michaelskirche ragt. Um das Jahr 1900 war Kallmünz ein magnetischer Anziehungspunkt für Maler, Künstler und Dichter. Sie kamen zur Sommerfrische. Wassily Kandinsky entwickelte in seiner dreimonatigen Verweildauer hier seinen abstrakten Malstil. Einige der ART-Genossen blieben dann auch gleich da – das spürt man auch heute noch. Zeitlosigkeit trifft auf Achtzigerjahre-Flair, Weltoffenheit auf Provinz, Groteskes auf Alltägliches. Darüber thront auf einer Anhöhe die Burgruine Kallmünz, die bereits so einigen Ereignissen die Stirn bieten musste.

Samstag, 13:30 Uhr: Die Burg ruft

Wir gehen los über die Brücke und schlendern durch die Gassen, um auf einen Wegweiser zu treffen, der den Pfad zur Burg offenbart. Der direkte Aufstieg erfordert ein bisschen Trittsicherheit und ein klein wenig Kondition. Stufe für Stufe kraxeln wir durch ein von Efeu überwuchertes kleines Hexenwäldchen bergauf. Wer eine gemütlichere Gangart anschlagen möchte, erklimmt die Burg von der rechten Seite über einen breit ausgebauten Wanderweg. Oben angekommen empfängt uns die wundervolle Aussicht über weite Felder und das Naabtal. Vierzig Burgen sind im Regensburger Land durch den „Burgensteig“ vernetzt; Kallmünz ist eine davon. Zwischen dem achten und zehnten Jahrhundert wurde die Region hier dicht besiedelt. Schon damals wusste man, wie wichtig Schnittstellen sind – nachdem die Flüsse Vils und Naab ineinanderfließen und hier gleich mehrere mittelalterliche Fernstraßen aufeinander treffen, wurde der Ort zu einer Reichszollstätte erhoben.

Die Burg Kallmünz entstand um 900 n.Chr., errichtet auf alten Überresten einer keltischen Anlage. Den Dorfbewohnern diente sie als Fluchtburg. 1504 setzten böhmische und pfälzische Truppen die Burg während des Landshuter Erbfolgekrieges in Brand. Das neu gegründete Fürstentum Pfalz-Neuburg baute sie danach wieder auf, nur um im Dreißigjährigen Krieg 1641 den Flammen erneut zum Opfer zu fallen. Schwedische Truppen zogen in dieser Zeit marodierend und brandschatzend durchs Land.

Sträucher und Bäume haben sich zwischen Fels und behauenem Stein längst ihren Platz zurückerobert. Beim Anblick der Ruine läuft das Kopfkino an. Im Zeitraffer ziehen vor dem geistigen Auge Menschen und Begebenheiten vorbei. Reiter auf ihren Pferden sprengen heran, Sekunden später steht die Burg in Flammen. Darüber reicht die Dämmerung dem Sternenhimmel und dem Sonnenaufgang die Hand. Jahrhunderte vergehen. Der Wind fährt durch Fensterluken, die den Blick auf einen stahlblauen Himmel einrahmen. Der Puls verlangsamt sich und alle Gedanken an das Heute verflüchtigen sich angesichts der Geschichte und der Zeit, die diese Steine hier schon überdauert haben. Freie Gedanken, freie Zeit! Freizeit!


Burgruine Kallmünz | 93183 Kallmünz | Mehrere Fußwege führen vom Ort zur Burg hinauf. Die Anlage ist ganzjährig begehbar, der Bergfried verschlossen. | Mehr Info

Samstag, 14:45 Uhr: Schupfnudel-Paradies

Wir spazieren den schönen Wanderweg entlang. Das Wirtshaus Bürstenbinder lädt in seinem gemütlichen Gastraum zum Pausieren ein. Es gibt Schupfnudeln mit Sauerkraut, Schupfnudeln ohne Sauerkraut, Schupfnudeln angebräunt in Butter mit Zimt und Zucker, Schupfnudeln mit … und dazu gibt’s Zoiglbier, Limo, Wasser oder Kaffee.


Zum Bürstenbinder | Öffnungszeiten: Di – So 11:00-23:00 | 09473-8552 | Spezialität: Oberpfälzer Bauchstecherla (Mehlteigröllchen) in vielen Variationen | Mehr Info

Bild: Böhm
Bild: Böhm
Bild: RitaE

Samstag, 16:45 Uhr: Wohlfühl-Flair mit dem Blauen Krebs

Mit schupfnudelgefüllten Bäuchen erreichen wir am Nachmittag Regensburg. Wieder eine Brücke, von den Einwohnern liebevoll „Die Steinerne“ genannt. Sie verbindet das bayerische Stadtamhof mit der freien Reichsstadt Regensburg und steht auch nach zweitausend Jahren noch vollkommen unbeeindruckt da von allem, was da auf und unter ihr geschah. Von Marimba-Klängen begleitet ziehen wir über sie in die Stadt ein. Gleich in der ersten Gasse nach der Brücke ist ein kleines Café, die Moccabar. Nachdem wir hier einen kleinen Espresso getrunken haben, ziehen wir weiter zu unserer Bleibe. Das Hotel „Zum blauen Krebs“ versteckt sich in einer Seitengasse in der Nähe des Haidplatzes. Mitten im Zentrum, aber in der nächtlich lauten Studentenstadt doch angenehm ruhig. Anton Weißenbacher, dem Inhaber und Chef, ist es ein Anliegen, jeden neuen Gast höchstpersönlich auf sein Zimmer zu bringen. Sofort breiten sich ein Wohl- und Zuhause-Gefühl in uns aus. Oben erwartet uns ein echt „schräges“ Hühnerzimmer, gestaltet vom Karikaturisten Peter Heymann. Auch in den anderen Motto-Zimmern fliegt man gedanklich weiter: nach Bali, China oder Kuba. Wer jedoch ganz in das Regensburger Gefühl zu Zeiten des Reichstages eintauchen möchte, bucht die Wallenstein-Suite. Für Familien, Mädelsausflüge oder Jungswochenenden steht auch ein kleines Appartement mit zwei Schlafzimmern zur Verfügung.


Hotel zum Blauen Krebs / Gasthof-Restaurant Dicker Mann | Krebsgasse 6 (Haidplatz), 93047 Regensburg | Zimmer je nach Saison ab 95 Euro | Öffnungszeiten: täglich von 09:00 Uhr – 01:00 Uhr (bis 23:00 Uhr durchgehend warme Küche) | Mehr Info

Samstag, 18:00 Uhr: Kultur snacken

Erfrischt werfen wir uns in das Gewimmel der hochgotischen Stadt, die angenehm wach, aber nicht hektisch pulsiert. Überall riecht es nach gutem Essen. Vor dem leiblichen Wohl ist aber ein kultureller Snack angesagt. An der historischen Wurstkuchl startet eine „offene Stadtführung“. Wir konnten uns telefonisch oder per Mail bei der Stadtmaus anmelden und zahlen unkompliziert bei Beginn der Führung vor Ort. Je nach Saison behandeln die Führungen unterschiedliche Themen in und um Regensburg. Neben Jahreszahlen und Fakten erleben wir durch vier Schauspieleinlagen, in denen historische Persönlichkeiten auftreten, das besondere Flair der freien Reichsstadt Regensburg.


Stadtmaus | Thundorferstr. 1, 93047 Regensburg | Ticket: 16 Euro (ermäßigt: 14 Euro) | Öffnungszeiten Mo – Fr: 09:00-17:00, Sa: 10:00-13:00, So: geschlossen | Mehr Info

Bild: Thorsten Laudien
Bilder: Hubertus Hinse (li.) / Florian Hammerich

Sonntag, 09:45 Uhr: Frühstück snacken

Wer vielleicht woanders übernachtet und kein Frühstück bekommen hat oder den Trip in Regensburg beginnen möchte, dem können wir getrost das Hotel Orphée und sein hervorragendes Frühstück für zwei Personen (35 Euro) empfehlen. Preislich etwas gehoben, aber wirklich lecker. Birchermüsli mit pürierten Erdbeeren und Spinatfrittata sind nur zwei Highlights der dreistöckigen Etagere! Wer sich gleich für den ganzen Tag stärken will, kann sich den „Gruß aus Israel“ schmecken lassen (Tomate, Paprika, Chili, Kumin, Eier, Feta heiß in der Pfanne serviert für 13,80 Euro).
Etwas außerhalb, in der Prüfeningerstraße, gibt es in der Konditorei Opera die besten Kuchen, Tartes und Tarteletts. Unbedingt einen Abstecher wert! Hin und zurück kann man ein Stück durch den Stadtpark laufen. Im Meier in Stadtamhof klingt der Abend nicht nur für Fleischesser aus. Hier kommen auch Vegetarier und Veganer auf ihre Kosten. Fazit nach einem Tag und einer Nacht: Das Gute liegt so nah – „SOS“ ist wunderbar!


Hotel/Restaurant Orphée | Untere Bachgasse 8, 93047 Regensburg | Öffnungszeiten: täglich 08:00-01:00 | Special: Kulturelles Angebot im Künstlerhaus Andreasstadel | Mehr Info

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